Ein monovokalischer Roman
Am Wochenende war ich auf einer Lesung an meiner Heimatuniversität, auf der Reinhard Ammer aus seinem Roman „Elfenfeld“ gelesen hat. Ammer hat sich – in die Traditionslinie von Ernst Jandl und Robert Gernhardt stellend – an einem Roman versucht, der nur den Vokal „e“ enthält. Alle anderen Vokale wurden verbannt. Ich dachte mir, es wäre nett, diesen monovokalischen Roman zum Anlass zu nehmen, um hier kurz aus linguistischer Perspektive die Fragen zu erläutern, ob und warum es möglich ist im Deutschen eine Geschichte mit nur einem Vokal zu schreiben. Bevor wir das klären, hier aber ein kurzer Textauszug, den ich auf Ammers Internetseite gefunden habe:
Der Flecken Melk beherbergt elf Gesellen, welche Pferde metzgen. Elf beklemmend enge Gehege legen deren letztes Lebenseckchen fest. Neben den Geldschwemmen, welche den elenden Kleppern entpreßt werden, melken jene Metzger erzfrech jedwede pferdefremde Geldqvelle. Es werden Spelzen, denen jeder Wert fehlt, verwendet; es werden enthemmt Hennen nebst Eseln geklemmt; es werden Werte Fremder entwendet! Selbst Menschen werden verschleppt! Es lebe der Mehrwert, hehe! Den Kern des Lebens, denkt jeder der elf Schwerverbrecher, verfehle jedes bedenkenschwere Seelchen, dessen hehres Ehrengewese dem Gelde den ersten Stellenwert verwehre. Wer des Lebens eherne Gesetze kenne, der mehre es, fern jeder bremsenden Bedenken, selbst wenn es Menschen verletze, verbrenne, versehre!
Ein Blick auf den Text beantwortet die erste Frage, ob es nämlich möglich ist, eine auf Deutsch verfasste Geschichte mit nur einem Vokal zu schreiben: Es ist leider nicht möglich. Oder zumindest wäre es ein extrem schwieriges Unterfangen. Im Text wird zwar konsequent das Graphem <e> verwendet, gesprochen wird aber nicht immer [e], sondern häufig auch [ə], wie z.B. bei Gelde oder [ɐ], wie z.B. in Fremder. Das tut der künstlerischen Qualität des Werks natürlich keinen Abbruch und nimmt einem auch nicht den Spaß am Lesen! Ist aber aus wissenschaftlicher Perspektive ganz interessant, weil es wieder einmal zeigt, wie sehr wir in unserer schriftzentrierten Kultur auf die Buchstaben fixiert sind. Ein Problem, das in der Linguistik immer wieder auftritt!
Die zweite Frage, nämlich warum es möglich ist, einen Text, der nur aus so ähnlichen Vokalen besteht, zu verfassen, erscheint mir nicht unspannend! Denn bei genauer Überlegung scheint es doch seltsam zu sein, dass eine Sprache es ermöglicht, mit nur einem Vokal so viel Vokabular zu produzieren. Dabei spielt sicherlich eine Rolle, dass das <e> das häufigste Graphem im Deutschen darstellt. Allerdings muss man sich fragen, warum das so ist. Ich denke, die Frage lässt sich mit einem Blick in die deutsche Sprachgeschichte erhellen. Im Althochdeutschen traten nämlich in den Nebensilben noch zahlreiche Vokale auf. Im Zuge der sogenannten Nebensilbenabschwächung, wurden diese Vokale aber entweder zu einem Schwa-Laut abgeschwächt oder fielen aus. Dies hat mit einer Verlagerung des Wortakzents zu tun, der ursprünglich frei war und sich im Laufe der Zeit zu einer bis heute erhaltenen Stammbetonung verlagerte. Dies lässt sich an den nachfolgenden althochdeutschen und mittelhochdeutschen Beispielen sehen:
ahd. keisur > mhd. keiser
ahd. geban > mhd. geben
Wie schon gesagt, tut das dem Buch keinen Abbruch und es handelt sich bestimmt um ein nettes Weihnachtsgeschenk 🙂 Mich hat das übrigens an eines meiner Lieblingsstücke von Heinz Erhardt erinnert, das ich euch natürlich nicht vorenhalten will:
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